Gottfried Kellers Gedicht „Abendlied“ entstand 1879 und wurde 1888 zum ersten Mal veröffentlicht. Es besteht aus 16 Versen in vier Strophen. Die fünfhebigen Trochäen und die ausschliesslich männlichen Kadenzen tragen zur inneren Spannung des Gedichts bei, denn einerseits schaffen die verwendeten Trochäen eine eher traurige und schwerfällige Atmosphäre, wohingegen die männlichen Kadenzen den Textfluss eher beschleunigen.
„Abendlied“ entstand in der literarischen Epoche des Poetischen Realismus, dessen typische Merkmale unter anderem „der Mensch in seiner natürlichen Gesellschaft“, „das menschliche Handeln unter dem Einfluss der Natur“ und „die gesellschaftlichen Zwänge und der Zufall“ sind.
Das Oberthema „Tod“ passt hervorragend in die vorliegende literarische Epoche, da der Tod überall in der Gesellschaftlichen und natürlichen Umgebung des Menschen vorkommt.
Dieses Gedicht lässt sich am einfachsten durch die metaphorisch verwendeten Begriffe, wie z.B. „Abendlied“, „Wanderschuh“ oder „finstre Truh“ erschliessen. Jeder dieser Ausdrücke deutet bei genauerem Hinsehen auf den Lebensabend (Tod) hin, welcher auch sehr schön durch die immer wieder auftretende Augenmetaphorik hervorgehoben wird.
Ausserdem beschäftigt sich „Abendlied“ mit einem zweiten typischen Motiv des Poetischen Realismus nämlich dem Zufall. Das Gedicht spielt darauf an, dass man sein Leben geniessen soll, da man nie weiss, wann es zu Ende sein wird.
Der eher negativen Stimmung stellt sich teilweise ein Positivismus gegenüber, welcher sich durch Formulierungen wie „freundlich“, „goldener Überfluss“ oder „dann hat die Seele Ruh“ äussert.