Die Novelle „Der Schimmelreiter“ von Theodor Storm erschien im Jahre 1888. Im Werk setzt sich der von Theodor Storm konstruierte Erzähler mit dem Aberglauben und der Vernunft auseinander. Die Frage stellt sich hier bei, welche Rolle der sich ständig zuspitzende Konflikt zwischen dem Aberglaube und der Vernunft im Werk spielt.
Der Anfang der Geschichte gestaltet sich durch einen Bericht eines Reisenden, der eines Abends einen mysteriösen Reiter auf einem Schimmel in die stürmische See springen sah. Danach erzählt ein pensionierter Schulmeister die Geschichte(die Binnenhandlung) von Hauke Haien – dem Schimmelreiter.
Schon als kleiner Junge interessierte sich Hauke für Literatur, Physik, Geometrie und die Arbeit seines Vaters. Bereits früh fand er Begeisterung für die Deiche und ihre Schutzfunktion. Von diesem Zeitpunkt an muss Hauke verschiedene wichtige Etappen durchmachen. So gestaltet sich das Buch wie eine Art Entwicklungsroman. Denn während der Geschichte wird der Lebenslauf von Hauke, der durch äussere Einflüsse und innere Entwicklung beeinflusst ist, dargestellt („Königs Erläuterungen und Materialien - Interpretation zu Theodor Storm ‚Der Schimmelreiter‘ “; S62). Er muss sich unter anderem bei einem Ballspiel vor Ole Peters beweisen, um Anerkennung vom Volk und von Elke zu bekommen. Zusätzlich verlieren er und seine spätere Frau Elke ihre Väter, was für ihn ein wichtiger Schritt in die Richtung der Zukunft als Deichgraf ist(das Erbe der beiden Väter beschafft ihm genügend Land um Deichgraf zu werden). Schlussendlich kann er seiner Leidenschaft nachgehen und wird zum Oberdeichgraf. Er will für zusätzlichen Schutz einen neuen Deich bauen und den alten verbessern. Obwohl bereits nach dem Tod des Katers ein Fluch der alten Trien Jans das Geschehen überschattet, tritt das Unheimliche erst beim Kauf des Schimmels stark in die Geschichte ein. Hauke wird immer mysteriöser und das Volk traut ihm immer weniger. Durch diese Unsicherheit gegenüber ihm, verfällt es immer mehr dem Aberglauben. Die beiden Seiten verschärfen sich ständig(z.B. bei der geplanten Vergrabung des Hundes im Deich). Vor allem beim Bau des Deiches treten die beiden 'Parteien' stark in Konflikt. Am Schluss zerstört der Jahrhundertsturm den alten Deich. Beim Unglück kommt die Familie von Hauke ums Leben. Als er dies sieht stürzt er sich mit dem Schimmel in den See.
Theodor Storm legt bei seinen Texten immer einen grossen Wert auf eine schöne, gebundene Sprache („Königs Erläuterungen und Materialien - Interpretation zu Theodor Storm ‚Der Schimmelreiter‘ “; S. 52). Diese rhythmische Sprache ist auch in Werk „Der Schimmelreiter“ gut zu erkennen (z.B. S.5: Storm bracht für ein fliessendes Lesen „fiel`s“ statt „fiel es“. Typisch für die Novelle, macht sich Storm den Konflikt zwischen Mensch und Natur zu Nutze. Dies unterstreicht er mit seinem Dingsymbol, dem Deich, der im Werk eine entscheidende Rolle spielt. Er verwendet ihn als obengenanntes Symbol, wie auch als Motiv, um das Leben/das Schicksal seines Protagonisten zu wiederspiegeln. Wie der Titel schon wissen lässt, ist ein Schimmel Teil der Geschichte. Als Symbol des Unheils und Verkörperung des Teufels spielt er im Geschehen eine entscheidende Rolle. (S.96,Z.20;S.100: „Aber freilich über ihn schwieg…(…)…Teufelspferde mochte auch am Ende richtig sein!“)
Im Verlaufe des Buches werden diese zwei Fronten ständig verstärkt. Auf der einen Seite verkörpert Hauke das Unheimliche (weil er ein Rationalist ist und die Wissenschaft für die Gemeinschaft noch Neuland ist) und die Dorfgemeinschaft(vor allem auch die alte Hexe Trien Jans) den Aberglauben. Wir wollen uns im Folgenden mit dem Aberglauben(Sage der weinenden Wasserfrau und das Begraben vom Hund(/Kind)) und dem Unheimlichen(dem Schimmel) beschäftigen.
Das Unheimliche tritt im Moment des Kaufes des Schimmels entscheidend in die Geschichte ein. Doch schon bevor der Schimmel wirklicher Teil des Geschehens wird, werden unheimliche Vorausdeutungen auf ihn gemacht (S.75:„Ein paar weissgebleichte Knochengerüste...(...)...; lass uns nach Hause gehen“). So wird auch deutlich, dass der Schimmel eine negative/unheimliche Rolle einnehmen wird. Später, beim Kauf des Schimmel, werden zusätzliche Vorausdeutungen gemacht (S. 84: „Und da, Frau, hab...(...)...und lachte wie ein Teufel hinter mir darein.“). Dieses Verhalten der Personen lässt für das Kommende böses erahnen. Der Schimmel wird mehrmals in Verbindung mit dem Teufel gebracht. Als nach dem Kauf das Pferdegerippe im Jevershallig verschwindet, wird das Misstrauen immer grösser. Je länger der Schimmel in der Geschichte ist, desto stärker wird die Bindung zwischen ihm und Hauke und somit auch die Präsenz des Unheimlichen. Parallel zu dem steigert sich auch immer die Wichtigkeit des Aberglaubens. Die Dorfgemeinschaft wird gegenüber Hauke immer misstrauischer und traut ihm und seiner Beziehung mit dem Schimmel immer weniger. Um gegen dieses Unheil angehen zu können greifen sie zum Aberglauben. Beispielsweise wollen sie den Deich sichern, indem sie etwas Lebendiges darin vergraben(S.105; „Nur einen Fuss noch höher;...(...)...tut’s wohl auch ein Hund!“(S.107)). Bei dieser Textstelle wird der Aberglaube des Volkes gezeigt, aber auch dessen Haltung gegenüber Hauke. Ihm wird klar gemacht, dass er nicht unschuldig daran sei.
Hauke stellt sich allgemein gegen den Aberglauben. Er will der Gemeinschaft ihren Glauben austreiben. Er verbietet ihnen das Erzählen von Sagen oder wie oben genannt das Begraben des Hundes. (S. 106:“ Einen Augenblick schwieg alles;…(…)…wenn man dich hineinwürfe.“ (S.107) ).
Am Ende des Werkes stellt sich der Aberglaube aber doch als nicht ganz unwahr heraus. Wäre das Unglück des Deiches erspart geblieben, wenn man den Hund begraben hätte? Diese Frage bleibt dem Leser offen. Einige würden sagen dies sei bloss Schwachsinn. Andere würden vielleicht sagen, dass es eine Art Retourkutsche war und dass man den Aberglauben nicht unterschätzen sollte. So hat sich diese höhere Macht ihre Opfer(ihr „Lebendiges“) durch Hauke und seine Familie selber geholt.
Im Werk ist Theodor Storms Charakter sehr stark zu spüren. Er lehnt die Religion und den Glauben sehr stark ab(er behauptet Aberglaube/Glaube beschränke die Menschheit). So stellt er den Aberglauben in der Geschichte nicht besonders gut ein. So lehnt sein Protagonist den Aberglauben stark ab und beruht auf dem Wesentlichen. Der Zusammenhang der Geschichte mit einer Sage ist ebenfalls typisch für ihn. Er selber war ein passionierter Sagenleser/-verfasser. (http://www.storm-gesellschaft.de/?seite=84165)
Zugleich ist die Geschichte stark vom zeitgeschichtlichen Hintergrund geprägt. Damals war die Wissenschaft weniger fortgeschritten und die Lebenszustände waren unsichere als heute. Zu dieser Zeit kam aber der Positivismus auf. Diese Bewegung wollte neue Erkenntnis und schloss sich immer mehr der Wissenschaft an(erkennen und beweisen). Sie strebte einen Religionsersatz an, worauf sich die Spannung zwischen den beiden Seiten ständig stieg. (http://de.wikipedia.org/wiki/Positivismus).
Das noch gläubische und konservative Landvolk suchte Zuflucht beim Glauben. So ist auch die Geschichte zu verstehen. Hauke, der Rationalist, verfügt über Logik und Vernunft. Er lehnt den Aberglauben ab und beruht auf „wahre“, vernünftige Begebenheiten. Das eher ungebildete, „arme“ Volk versuchen jedoch im Glaube/Aberglaube Schutz zu finden.
Nach den oben erwähnten Punkten, ist die Rolle des Aberglaubens und des Unheils in der Geschichte wohl klar ersichtlich. Diese Aspekte sind Grundbestandteil der Geschichte. Die allgemeine Einstellung des Autors Theodor Storm ist im Bezug darauf teilweise erkennbar. Welche der beiden Fronten am Schluss siegt ist nicht klar. Doch dieser Ausgang bestärkt die Tatsache, dass die zwei Fronten nicht wegzudenken wären und das sie ständige Konkurrenten sind. Ein Vergleich zur heutigen Welt wäre vielleicht die Konkurrenz zwischen normaler Medizin und Komplementärmedizin. Hauke würde auf das erforschte, bewiesene vertrauen. Die Dorfgemeinschaft würde wohl eher zur Komplementärmedizin greifen, bei welcher sicher ein gewisser Glaube nötig ist.